Impro-Blog: Von Impro-Nazis, der Angst und der Freiheit

Willst du die totale Freiheit?
Als ich mit dem Improspielen anfing, war es unter anderem das, was auf mich so verlockend wirkte: dieses unglaubliche Versprechen der ungebundenen und unregulierten Spielfreude, der Freiheit im Spiel – denn schließlich ist es ja bei Impro so: „you just make stuff up as you go along!“ Spielen also, und einfach schauen was dabei rauskommt. Kein Regisseur, kein Skript. Wow, ein verrücktes und wunderbares Versprechen.
Ich hatte davor schon so manchen Kontakt zu Regisseuren gehabt. Und das waren nicht immer gute Erfahrungen. Es waren Despoten darunter, Narzissten, Kontrolleure, Visionäre, Napoleons und Neros. Nicht allen, aber doch einigen gemein war das bleibende Gefühl, dass es der Seele nicht gut täte, unter solchen Menschen zu arbeiten.
Genug Gründe also, sich ein paar Jahre später freien Herzens und frohen Mutes in das Abenteuer Impro zu stürzen, in die volle Freiheit.
Und so begann es auch: wie ein junger Hundewelpe hopst man fröhlich über die Improbühne, gleich einem Schmetterling auf einer Frühlingswiese, jedes Angebot und jede Idee annehmend, die des Weges kommen möge. Man hat ein neues Hobby. Es ist wunderbar. Es macht so viel Spaß. Es gibt so viel Freiheit. Man kann machen, was man will. Oder fast.
Weil, früher oder später merkt man doch: Hm, manche Szenen funktionieren einfach besser als andere. Manche sind lustiger, berühren mehr, sind einfach spannender zum Spielen, oder zum Zuschauen.
Er ist wieder da
Und das ist die Geburt vom kleinen Impronazi. Und die geht so:
Du spielst also Impro, hast jetzt schon die ersten paar Jahre hinter dir; die ersten Workshops gemacht, hast vielleicht auch schon eine Gruppe an Leuten, mit denen du regelmäßig spielst. Und da fängt das dann an, die Sachen mit dem „Pflichtenheft“, oder dem Regelbüchlein. Die do’s und dont’s einer Szene, welche dir verschiedene Bücher, Workshopleiter_innen oder KollegInnen mehr oder weniger subtil nähergebracht haben.
Ja! sagen, konstruktiv sein, vorwärts gehen. Sachen benennen, das WerWoWas schnell klar machen. Gut, soweit so klar. Eventuell auch: bitte keine Szenen am Klo, nicht in der Sauna. Kinder spielen ist mühsam, anderes Geschlecht eher auch. Bitte keine Drogenszenen, Verfolgungsjagden derspielt man eh nicht, Missbrauchsgeschichten sind wirklich eher bäh, Annemarie mag kein Science Fiction, und der Hannes hat es böse mit dem Knie, also bitte nicht zu viel Action mit ihm. Naja, und Nazi-Szenen sind sowieso ziemlich verpönt. Geht sich einfach nicht aus.
Und so, Stück für Stück, über die Jahre, passiert etwas: du erlernst ein Handwerk, gepaart mit einem Regelwerk. Du entwickelst ein Gespür, oder verinnerlichst diese Regeln, die dir helfen sollen – und hoffentlich auch helfen – bessere Szenen zu spielen. Zugleich engt dich dieses Wissen auch immer weiter ein.
Denn du bezahlst dieses Wissen zum Teil mit der Freiheit, wegen der du mit Impro angefangen hast.
Die Zwei
Und dann gibt es da die Zwei. Bei mir sind es zwei Männer, sie heißen Herr Kowitzki und Herr Fönbichler. Kowitzki ist Deutscher, Fönbichler ist Wiener. Die sitzen dann in meinem Kopf, manchmal im Publikum. Sie sind von Beruf Inspizienten. Die haben so eine Checkliste, einen Pflichtenkatalog. Wenn sie zuschauen bei einer Szene, dann hakeln die ab: „Aaaah, sehr schön ge-yes-and-et. Mhm. Objektkonstanz unzureichend, Glas nicht auf Tisch abgestellt, mangelhaft, das gibt Abzüge… Oooh, Beziehung nicht klar gemacht, gar nicht gut… Ja, und wo sind wir? Der Ort? Hm? Der Ort?? Und worum genau geht’s jetzt in der Szene??“
So geht das dahin. Manchmal sind Kowitzki und Fönbichler so laut, dass ich die Szene gar nicht mehr hören kann. Manchmal sind sie so streng und so von sich und ihren Regeln überzeugt, dass sie gar keinen Platz mehr lassen, um mal etwas Neues auszuprobieren. Sie habe ich meine inneren kleinen Impro-Nazis genannt. Weil sie die Regeln sehr wichtig finden, und ganz ungehalten werden, wenn die nicht eingehalten werden, und manchmal ganz schön streng sind.
Wenn man dann selber schon seit längerem spielt, vor allem wenn man selber Kurse und Workshops leitet, können die echt zum Problem werden. Weil: du willst den Leuten (und dir selbst) die Spielfreude, die Frühlingswiese der ersten Tage vermitteln, dieses Gefühl von Freiheit. Aber: du willst auch, dass sie möglichst schnell zu guten, bedeutungsvollen Szenen kommen. Und gerade bei einer scheinbar so freien Form wie Impro scheint das Hirn nach irgendwelchen Regeln zu lechzen, an denen es sich anhalten kann. Und scheint es diese auch zu brauchen, damit die Szene nicht den Bach runtergeht. Und du hast du auch die Erfahrung gemacht, dass diese Regeln und Handwerkzeuge durchaus Sinn machen. Und letztlich wird auch dein Bedürfnis und deine Lust nach Improszenen, die nirgendwohin gehen, immer enden wollender.
Und schließlich steht das alles ja auch in so vielen klugen Büchern drin! Kann also nicht so falsch sein, oder?
Gefahren_gut
Ist es auch nicht. Oder: vielleicht nicht. Ich glaube, es geht um die Gefahren; und um das Bewusstsein.
Die Gefahr ist, nur mehr mit dem Pflichtenheft Impro zu spielen oder zu schauen, nur mehr mentale Stricherl-Listen abzuhaken und Fehler zu suchen. Dann ist er weg, der Improzauber. Das Bewusstsein: dass manchmal gar großartige Szenen entstehen können, die auf all diese Regeln aber sowas von pfeifen, dass es Fönbichler fallweise das Toupet aufstellt. Die Bereitschaft, sich auch auf solche Szenen einzulassen, auch wenn Kowitzki am liebsten im Stechschritt den Raum verlassen wollte. Und die Schwierigkeit, schnell zu entscheiden, wann man darauf achtet, und wann nicht.
Denn das ist sie, die wahrlich wahnwitzige Quadratur des Kreises: dass all diese Regeln einerseits den totalen (toootaaaalääään!!) Sinn ergeben, und echt hilfreich sein können; dass andererseits, wenn man sich nur mehr darauf konzentriert, man irgendwann den Spaß am Impro verlieren kann, weil man nicht mehr frei ist, und irgendwann das Netz, ohne dem zu spielen man glaubte, so engmaschig gestrickt ist, dass man jede Szene darin liegend beginnt, anstatt nackt auf einem Vulkan tanzend.
Das wäre sie also wohl, die improvisatorische Perfektion: all die Regeln und das Handwerk verinnerlicht zu haben, um dann – intuitiv und in Sekundenbruchteilen – entscheiden zu können, wann man diese braucht, und wann man volle Kanone auf sie pfeift.
Ich jedenfalls habe einen Vorsatz fürs nächste Jahr: ich möchte wieder mehr Szenen spielen, wo ich als Nazi Drogen am Klo nehme.
Die totale Freiheit.
Marcus Czerwenka ist Improspieler, Improtrainer, freut sich gerade auf seinen nächsten Workshop und spielt für sein Leben gern Impro.
4d Kommentare
Vielleicht hilft es zu trennen, wann man für wen spielt.
Wenn man für andere (und Geld) spielt, steht die (sicherere) Qualität im Vordergrund . Was ist Qualität in diesem Sinne? Vielleicht, dass die Zuschauer (oder der Kunde) a) das bekommt was er/sie gemeint hat gekauft zu haben und b) gut unterhalten sind. *EINSCHUB: hier ist es für uns als Unterhalter*innen wichtig zu lernen, was unsere Zuschauer*innen unterhält. Es ist nicht ihre Aufgabe zu wissen, was sie unterhält, sondern unsere. Wir müssen dem Koch ja auch nicht sagen können, wie man ein Gericht zubereitet, dass uns schmeckt… wir müssen ja nur merken, dass es uns schmeckt. EINSCHUB ENDE*
Hier können die Regel helfen, solange sie das „Produkt“ (die Szene / die Show / was auch immer) nicht schal, langweilig, repetitiv wird.
ABER wenn wir für uns spielen, für unsere eigene Plaisir, dann dürfen und sollten wir tun was wir wollen… mit oder ohne Regeln! Warum sollten zwei Improspieler*innen, die gemeinsam an einer Szene Freude hatten und die nicht zur Unterhaltung (oder ähnliches) anderer gespielt wurde, sich daran messen lassen, ob es irgendwelchen Massstäben genügt? Wenn ich mir Eier mit Erbsen und Leberwurst mache, ist das einzige was zählt, dass es mir schmeckt, nicht ob es gut oder richtig ist!
Wichtig ist, glaube ich, dennoch nicht beide „Spielorte“ zu mischen. Das macht unglücklich. Natürlich darf man Spass am „Auftragsspielen“ haben, aber wer immer die Selbsterfüllung im Bezahlten oder volle externe Anerkennung während seiner Selbsterfüllung sucht, möchte zwei grundsätzlich verschiedene Motive zu einem kombinieren. Es kann sein, dass es Leute gibt, denen das gelingt (oder auch nur temporär), aber das sollte nicht der eigene Anspruch sein. Es ist okay wenn einem sein eigenes Essen super schmeckt und es muss niemandem anders schmecken. Und wenn man für andere kocht was ihnen schmeckt, muss es einem selber ja nicht schmecken.
Ich glaube wenn man weiss warum man (gerade) Impro spielt ob für sich oder für andere, dann können aus den beiden Impronazis, mal nette Unterstützer und mal stille Beobachter werden 🙂
Hi Gerald,
vielen Dank für dein Interesse und den spannenden Beitrag! In der Tat, das ist eine interessante Idee und Möglichkeit, mit diesen beiden scheinbar teils entgegengesetzten Bedürfnissen umzugehen 🙂 Danke für deinen Input.
Hey Marcus,
spannender Artikel. Ja, die Regeln und woran man denkt sich halten zu müssen. Jeder von uns Spielern hat seinen ganz eigenen Impro-Nazi in sich. Nach jedem Auftritt, so spassig er auch gewesen sein mag, will ein Teil von uns, jede Szene auseinandernehmen und versuchen zu eruieren, warum sie nicht gut ankam oder was man hätte besser machen können. Meine Mutter sagt dazu, „Gedacht ist gesch….en“, Shawn Kinley sagt „When you are inspired, fuck the rules!“. Aber (zumindest Letzteres) klingt irgendwie nach einer Regel, die es zu beachten gilt 😉
LG, Nico
Hi Nico, schön von dir zu lesen! Du hast ja an der Entwicklung des Konstruktes „Impronazi“ mitgewirkt, wofür ich dir dankbar bin. Die Regel von Shawn Kinley finde ich super.
Wobei, das ist ja eine Regel. Dann müsste es also heißen: „When you are inspired, fuck the rules, except the one rule that says fuck’em!“ 😉